Im Original veröffentlicht in der Computerwelt
Österreich, Sommer 2004
Ich fürchte mich vor falschen Daten
Philipp Schaumann, Christian Reiser
„Natürlich ist es ein Horror, was über jeden einzelnen an Daten gesammelt wird, aber wirklich Angst habe ich vor
falschen Daten“ meint einer der Autoren dieses Artikels (CR) immer wieder, wenn über die derzeit herrschenden
Aktivitäten der Datensammler gesprochen wird.
Mit falschen Daten sind hier Daten gemeint, die nicht dem echten Leben entsprechen. Das kann sein, weil sie veraltet
sind, oder weil sie falsch erfasst wurden. Diese Daten an sich wären noch nicht schlimm, unangenehm kann es aber werden,
wenn diese Daten zu Aktionen führen, oder gewisse Schlüsse zulassen, die zu Aktionen führen.
Eines der kleineren Übel in diesem Zusammenhang sind falsch zugewiesene Leistungen zum Beispiel im Versandhandel. Ein
Kunde bekommt eine Rechnung für etwas, was er gar nicht bestellt hat. Derartige Fälle lassen sich meist relativ leicht
aufklären, aber Konsumentenschützer wissen auch davon zu berichten, dass falschen Kunden der Gerichtsvollzieher geschickt
wurde.
Unangenehmer als eine falsche Rechnung kann schon eine Überweisung sein, die am falschen Konto landet, oder eine
Abbuchung, die fälschlicher Weise vom eigenen Konto erfolgt. In Österreich kann man mit relativ geringem Aufwand das Geld
wieder zurück bekommen, doch war es eine Auslandsüberweisung, ist es in der Regel weg. Und hat man mit der falschen
Überweisung einen Termin verpasst, ...
Doch warum passiert das doch relativ oft? Es wird doch alles menschenmögliche und wirtschaftlich vertretbare für die
Sicherheit der Daten gemacht. Firewalls gibt es gegen Hacker, Backup gegen sonstigen Datenverlust, und das
Datenschutzgesetz wird auch ganz bestimmt eingehalten.
In diesem Bereich handelt es sich aber nicht primär um eine Schwachstelle der Datenverarbeitung, sondern um die
Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine und um das Daten-Design.
Es ließe sich eigentlich leicht verhindern, dass eine Kunden- oder Kontonummer falsch eingegeben wird. Man müsste nur
jeder Nummer eine Prüfsumme beifügen. Dabei handelt es sich um eine weitere Stelle der Nummer, über die einfache
Tippfehler automatisch erkannt werden könnten. Das gibt es aber derzeit bei fast keinen Kontonummern, fast
unverständlich, wo es sich doch bei Kreditkarten-Nummern schon längst bewährt hat.
Dieser kleine, einfache Mechanismus könnte die Datenqualität vieler Datenbanken deutlich erhöhen, und so manchen Ärger
verhindern.
Bessere Methoden zur Erfassung von Daten könnten ein weiteres tun. Angeblich werden mehrere Abstürze der ersten
Airbus-Modelle so einem Design-Fehler im Mensch-Maschine-Interface zugeordnet. Man konnte Sink-Rate oder Sink-Winkel je
nach Modus an der selben Stelle eingeben. Eine Verwechslung kann hier fatal sein.
Doch wie sieht das aus, wenn Medikationen im Krankenhaus falsch erfasst werden, oder die Dosis bei
Bestrahlungsbehandlungen? Egal ob mit oder ohne Computer, vielleicht in Zusammenhang mit der nicht immer besonders
leserlichen Schrift von so manchem Arzt, das könnte eher ungesund sein. Eine Studie aus den USA berichtet für das Jahr
1999 von fast 100 000 vermeidbaren Todesfällen in den Krankenhäusern, viele durch Medikamentierungsfehler.
Aktualisierung Juli 2006:
Die NY Times berichtet über eine US-Studie des "Institute of Medicine", "Preventing Medication Errors", nach der Medikationsfehler jährlich 1.5
Millionen Patienten Schaden zufügen und mehrere Tausend Tote in den USA verursachen, mit Kosten von mindestens $3.5
Milliarden $ pro Jahr.
Eine Studie des gleichen Instituts aus dem Jahr 1999 "To Err is Human" schätzt, dass zwischen 44 000 und 98 000 Amerikaner jedes Jahr durch Fehler in
Krankenhäusern sterben, das wären dann mehr als durch Brustkrebs oder Unfälle im Straßenverkehr.
Auch durch den Abgleich und das Zusammenführen von Datenbanken könnten Fehler erkannt und ausgebessert werden. Sie
können sich aber auch weiter verbreiten und verstärkt werden. Vielleicht werde ich einmal keine Lebensversicherung und
damit keinen Kredit bekommen, weil aufgrund einer falschen Eingabe einer Codierung aus einer harmlosen eine tödliche
Krankheit wurde. Und ich werde nichts dagegen machen können, weil ich weder weiß, wo diese falschen Daten gespeichert
sind, noch wo sie herkommen.
An anderer Stelle gibt es mehr zur Verantwortung von Technikern und
Wissenschaftlern und Business Ethik.