Wir sprechen von „sozial“ und meinen es positiv – das soziale Verhalten, den Menschen als soziales Wesen, gestützt durch sein soziales Netz, den Sozialstaat, in dem wir leben, die Sozialhilfe, die uns hilft wenn wir bedürftig sind, der Sozialarbeiter, der sich um uns kümmert, wenn wir aus dem sozialen Netz gefallen sind.
Das Gegenteil von sozial ist ganz klar negativ besetzt: Mit den Begriffen antisozial, asozial, unsozial bezeichnen wir Menschen, die sich nicht an unsere Regeln und Normen halten.
Das soziale Netz des Sozialstaats soll soziale Sicherheit und Geborgenheit erzeugen, das soziale Netzwerk im Internet ist primär ein gigantisches Geschäftsmodell - auch wenn Netzwerke wie Facebook, Twitter, Flickr, Xing, Pinterest, Google+, tumblr, Youtube, Instagram oder WhatsApp es uns sehr wohl ermöglichen, besseren Kontakt in der Familie zu halten, neue Kontakte zu knüpfen oder alte Kontakte zu erneuern.
Bei unserer Begeisterung für die tollen Möglichkeiten realisieren wir nicht, dass wir als Nutzer nicht die Kunden des Netzwerks sind, sondern die Ware – und zwar in unserer Rolle als potentielle Käufer.
Egal auf welcher Website wir uns im Web oder mit unseren Smartphones in der Landschaft bewegen, wir werden von den sozialen Netzwerken beobachtet, denn sie wollen uns „richtig gut kennen lernen“.
Die wirklichen Kunden der Netzwerke, die Werbetreibenden, können uns dann Angebote machen, die ganz auf unsere „errechneten“ Bedürfnisse zugeschnitten sind. Sie bemühen sich, uns so zu formen wie die Werbeindustrie uns gern sehen würde: konsumorientiert und trendig als Käufer von eigentlich nicht benötigten Gütern. Wir werden manipuliert und lassen es zu – ja, wir freuen uns noch darüber, denn wir bekommen kostenlos einen tollen Service und haben soziale Kontakte über die ganze Welt.
„Sozial“ scheint in sozialen Netzwerken sogar messbar zu sein: „Ich habe 350 friends und 5000 follower auf Twitter, wie viele hast du?“ – „Ach, zero friends, du solltest wohl mal einen Therapeuten besuchen.“
Wer nicht „connected“ ist, der ist im sozialen Netzwerk noch einsamer. „Den ganzen Tag noch keine Nachricht, weder auf Facebook, noch auf WhatsApp, mag mich denn überhaupt keiner mehr? Und mein Ex hat natürlich bereits wieder eine Neue.“ Die Social Networks haben eine schwache Stelle der menschlichen Psyche entdeckt und bedienen unsere Bedürfnisse: Descartes hatte unrecht mit seinem berühmten "Ich denke, also bin ich" - jeder Nutzer von Facebook weiß: "jemand denkt an mich, also bin ich".
Soziale Netzwerke erzeugen bei vielen Nutzern Neid und Minderwertigkeitsgefühle. „Timelines“ und Tweets zeigen uns, dass Andere mehr „Fun“ haben als wir selbst. Bei LinkedIn und Xing lernt man, dass andere eine viel steilere Karriere gemacht haben, Twitter und Pinterest nutzt man, damit man ja keinen Trend verpasst. Das Entfernen von „friends“ („de-friending“) macht deutlich messbaren Stress und die ständige virtuelle Präsenz der Ex-Partner fördert die Eifersucht. Und wer nur wenige soziale Kontakte hat, den machen die Party- und Urlaubsfotos der Anderen mitunter noch einsamer.
Das soziale Netzwerk kann durchaus auch ein sehr unsoziales Netzwerk sein. „Sozial“ bedeutet dort lediglich, dass eine Gesellschaft am Werk ist, deren Individuen sich immer wieder mal sehr lieb und altruistisch, meistens ganz nett, aber mitunter höchst unsozial verhalten.
Letzteres beginnt mit den unsozialen Trolls (Teilnehmer von Internet-Foren, die mit ihren gehässigen und verhetzenden Kommentaren den Besuch vieler Foren zu einem Frusterlebnis machen) und endet beim Cyber Mobbing, das ein durchgehendes Problem in sozialen Netzwerken ist, und zum Beispiel die Schülerin Amanda Todd (und auch andere) in den Selbstmord getrieben hat.
Zum unsozialen Verhalten im Web gehört auch Social Engineering (vom gewöhnlichen Phishing Mail bis zum Nigeria-Angebot des Prinzensohns). Betrüger (Scam Artists) nutzen gezielt persönliche Stärken und Schwächen anderer Menschen zu ihrem eigenen Vorteil aus. Menschen sind eben soziale Wesen. Das Problem ist deutlich älter als das Internet, aber die Betrüger finden jetzt eine unerschöpfliche Zahl von Opfern auf der ganzen Welt.
Die (vermeintliche) Anonymität im Web fördert unsoziales Verhalten, ein Klarnamenzwang ist aber ohne totalen Verlust der Privatsphäre nicht effektiv durchzusehen. Außerdem zeigt das „richtige Leben“, dass unsoziales Verhalten auch in der realen Begegnung (face-to-face) passiert.
Der Text wurde 2014 geschrieben in Verbindung mit der Kunsthalle Kiel aus Anlass ihrer Ausstellung
Philipp Schaumann, http://sicherheitskultur.at/
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